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Hüter der Schwelle                                            Seite 59

 

Hüter der Schwelle Sachregister: Hüter der Schwelle – Christi Versuchungsgeschichte S. 67; Hüter der Schwelle als Erlebnis S. 68; Hüter der Schwelle als Gespenst oder Alp S. 71; Hüter der Schwelle als Gnade S. 71; Hüter der Schwelle großer S. 72; Hüter der Schwelle großer als Erlebnis S. 74; Hüter der Schwelle kleiner S. 75; Hüter der Schwelle der Chaldäer S. 78; Hüter der Schwelle für den Menschen des Ostens und des Westens S. 78.

 

 

Hüter der Schwelle. In allen Geheimlehren gibt es Eingeweihte. Heute erleben diese genau dasselbe wie damals, indem sie über ihr niederes Ich* hinauswachsen, den geistigen Wesenskern in sich entwickeln und in diesem Leben schon Bürger einer höheren Welt werden. Zu gleicher Zeit aber wird uns klargemacht, daß in einer gewissen Stunde die  ganze niedere Natur vor sie hintritt. In jedem Menschen ist eine Summe von Leidenschaften, Begierden und Wünschen, die seiner niederen Natur anhängen. Aus alledem muß der Mensch erst heraus. Dann tritt es wie eine Weisheit vor ihm auf. Man nennt diese abgelöste Wesenheit den Hüter der Schwelle. Als eine Wesenheit steht neben dem Menschen seine niedere Natur, und er muß sich einmal sagen: Das bist du! Das mußt du ablegen! – Das nennt man bei allen Einweihungen die Höllenfahrt*. Man hat da Genosse zu werden der höllischen Mächte, hinunter-zusteigen in die Tiefen der Welt, weil der Mensch einfach drinnensteckt und seine höhere Natur nur halb in ihm lebt.

     Den Hüter der Schwelle nennt man diese Wesenheit, weil die Menschen, die sich nicht Mut und die Geistesgegenwart aneignen, nicht darüber hinauskommen. Diejenigen, die die Schwelle überschritten haben, nennt man Eingeweihte. 54.377   Warum steht der Hüter da? Weil die Menschenseele, wenn sie unreif den Schritt in die übersinnlichen Welten hinein machen würde – was niemals auf einem gerechten okkultistischen Wege geschehen kann – sich unendliche Furchtsamkeit, unendlichem Schrecken verfallen glauben würde, weil die Menschen aus ihrer Kleinheit, aus ihrer Unreife, aus ihrer Liebe und ihrem Hang zur Sinnenwelt nicht ertragen würden, was alles mit dem Eintritt in die übersinnlichen Welten zusammenhängt. 138.133 f     Die höhere Seele ist eng gebunden an die tierische Seele. Ihre Verbindung unter-einander ist es, die die Leidenschaften mäßigt, sie vergeistigt und beherrscht nach dem Grade der Vernunft und des Willens. Diese Verbindung hat (diesen) Vorteil für den Menschen. Aber er bezahlt diesen Vorteil mit dem Verlust seiner Hellsichtigkeit. Stellen wir uns eine Flüssigkeit von grüner Farbe vor, aus Geld und Blau zusammen- gesetzt. Wenn es Ihnen gelingt, sie zu trennen, werden sie zum Beispiel sehen, daß die gelbe Flüssigkeit sich auf dem Grund absetzt, während die blaue an die Ober-fläche aufsteigt. Ebenso verhält es sich beim Menschen, wenn der Einweihungsweg die tierische Seele von der geistigen Seele trennt. Für die höhere Seele erfolgt daraus die Hellsichtigkeit, aber die allein gelassene tierische Seele überliefert sich nun, sofern sie noch nicht durch das Ich gereinigt ist, ohne Kontrolle dem Exzeß der Leidenschaften. Man kann diese Tatsache häufig bei den Medien* konstatieren. Die Vorbeugung gegen diese Gefahr wird manchmal in der Einweihung bezeichnet durch das Wort: der Hüter der Schwelle 94.43.     Man kann sagen, in dem Menschen stecke ein Wesen, das sorgsam Wache hält an der Grenzscheide, die bei dem Eintritte in die übersinnliche Welt überschritten werden muß. Diese im Menschen (selber) steckende geistige Wesenheit, die man selbst ist, die man aber so wenig durch das gewöhnliche Bewusstsein erkennen kann wie das Auge sich selbst sehen kann, ist der Hüter. Man lernt ihn erkennen in dem Augenblicke, in welchem man er selber nicht nur tatsächlich ist, sondern sich ihm, wie außer ihm stehend, wie ein anderer gegenüberstellt. 17.50

 

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     Die im Bereiche der Sinneswelt wirksamen Kräfte formen den Menschen zum sinnlichen Menschenbilde. Im Umkreis des Geistigen ist er noch nicht Mensch; er ist ein Wesen, das sich imaginativ durch die Tierform ausdrücken läßt. Was im sinnen-

fälligen Dasein des Menschen an Trieben, an Affekten, an Gefühls- und Willens-

impulsen lebt, das ist innerhalb dieses Daseins in Fesseln gehalten durch das an  den Sinnesleib gebundene Vorstellungs- und Wahrnehmungsleben, die selbst ein Ergebnis der Sinnenwelt sind. Will  der Mensch aus der Sinnenwelt heraustreten, so muß er sich bewußt werden, was an ihm außer dieser Welt nicht mehr durch die Gaben der Sinneswelt gefesselt ist und durch neue Gaben aus der Geisteswelt auf den rechten Weg gebracht werden muß. Der Mensch muß sich schauen vor der sinnenfälligen Menschwerdung. 35.356     Wenn der Mensch hinaustritt aus seinem psychischen Leibe, dann ist er nicht etwa ein Wesen von einer höheren, edleren, reineren Form als diejenige war, die er gehabt hat im physischen Leib, sondern ein Wesen mit allen Unvollkommenheiten, die er sich auf sein Karma geladen hat. Das alles bleibt unsichtbar, solange der Leibestempel unserem Ätherleib und astralischen Leib und unser Ich aufnimmt. Es wird sichtbar in dem Augenblick, wo wir mit den höheren Gliedern unserer Wesenheit heraustreten aus dem physischen Leibe. Wir treten uns gleichsam seelisch-geistig nackt entgegen, wenn wir beim Heraustreten zugleich hellsichtig sind: das heißt wir stehen uns so vor dem geistigen Auge, daß wir jetzt wissen, um wie viel wir schlechter sind, als das sein würde, wenn wir jene Vollkommenheit erreicht hätten, welche die Götter hatten, damit sie schaffen konnten den Wunderbau unseres physischen Leibes. Wir sehen in diesem Augenblick, wie tief wir unter jener Vollkommenheit stehen, die uns vorschweben muß als unser künftiges Entwicklungsideal. Das ist das Erlebnis, das verbunden ist mit der Erleuchtung: das ist das Erlebnis, das man die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle nennt. 113.40 f

     Wie traumhaft stieg bei den Menschen vor 3-4000 Jahren heraus aus der Seele das Bild des Hüters der Schwelle, wenn sie in den Schlaf eintraten. Sie gingen an ihm vorüber. Und wiederum erschien dieses Bild, wenn sie aus dem Schlaf in das  gewöhnliche Leben zurückkehrten. Sie hatten nicht so eine deutliche Warnung (wie heute) beim Eintritt in die geistige Welt. Darin besteht eben gerade die Fortent-

Wickelung in der Menschheit, daß der Mensch verloren hat jenes schlafende,  träumende Wachsein, jenen Zwischenzustand zwischen Schlafen und Wachen, durch den er sowohl beim Einschlafen wie beim Aufwachen den majestätischen Hüter der Schwelle wenigstens traumhaft schauen konnte. Heute geht der Mensch vorüber an diesem Hüter der Schwelle beim Einschlafen und Aufwachen. Er ignoriert ihn; er berücksichtigt ihn nicht. Und dadurch kommt er in eine ganz ungeordnete Traumwelt hinein. 227.112f

     Die Trennung zwischen Gefühl, Verstand und Willen (im Verlauf der Einweihung*) ruft im Gehirn* eine Veränderung hervor, die charakterisiert ist (bei  der christlichen Einweihung*) durch die Dornenkrönung*. Damit sie sich gefahrlos vollziehen kann, ist es nötig, daß die Persönlichkeitskräfte genügend geschult und vollkommen ausgeglichen sind. Verhält es sich nicht so, oder hat der Schüler einen schlechten Führer, kann diese Veränderung den Wahnsinn entzünden. Der Wahnsinn beruht nämlich auf nichts anderem  als dieser Spaltung, die sich außerhalb des Willens vollzieht, ohne daß die Einheit durch innere Willenskraft wieder hergestellt werden kann.

 

 

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     Im Verlauf der Etappe, die man in der christlichen Einweihung die Dornenkrönung nennt, tritt ein furchteinflößendes Phänomen auf, das die Bezeichnung Hüter der Schwelle trägt und das man auch die Erscheinung des Doppelgängers nennen könnte. Das geistige Wesen des Menschen, gebildet aus seinen Willensströmungen, seinen Wünschen und seinen Verstandesfähigkeiten, erscheint alsdann dem Eingeweihten als Bild im Traumbewußtsein. Und dieses Bild ist manchmal abstoßend und Schrecken einflößend, denn es ist ein Ergebnis seiner guten und schlechten Eigenschaften und seines Karma*; von diesem allem ist es die bildhafte Personifikation auf dem Astralplan*. 94.56

     Indem sich (in der lemurischen Epoche, siehe: Lemuria) das reptilienartige menschliche Wesen aufrichtete, wurde eine nach vorn ganz offene Kopfbildung sichtbar, aus der eine feurige Wolke (der Feueratem) hervorquoll. Das hat Veranlassung gegeben zu der Erzählung vom Lindwurm, von dem Drachen. Das ist die groteske Bildung, die damals der Mensch selbst war. Der Hüter der Schwelle, die niedrige Natur des Menschen, erscheint gewöhnlich auch in einer derartigen Gestalt. Es ist die niedere Natur mit der offenen Kopfbildung. 93a.141

      Das ist der schlimme Fährmann im Totenbuch der Ägypter. Der Mensch muß ihn besiegen, um sein höheres Ich zu finden. Der Hüter der Schwelle, ein Phänomen des hellsichtigen Schauens bis in die ältesten Zeiten hinein, ist der eigentliche Ursprung all der Mythen über den Kampf des Helden mit dem Ungeheuer, des Perseus und des Herakles mit der Hydra, des heiligen Georg und des Siegfried mit dem Drachen.

     Der vorzeitige Eintritt der Hellsichtigkeit und die plötzliche Erscheinung des Doppelgängers oder des Hüters der Schwelle kann denjenigen, der nicht alle Vorbereitungen befolgt und alle dem Schüler auferlegten Vorsichtsmaßnahmen wahrgenommen hat, zum Wahnsinn führen. 94.56 f

     Die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle ist eine Tragik, ein Lebenskampf in bezug auf alle Erkenntnisbegriffe, in bezug auf alle Erkenntnisgesetze und in bezug auf alle Zusammenhänge des Menschen mit der geistigen Welt, mit Ahriman* und Luzifer*. Diese Lebenskatastrophe muß sich ergeben, wenn man dem Hüter begegnen will. 181.426     Wenn Sie in irgendeinem Momente zurückblicken und alles sehen könnten, was in Ihrem Astralleibe an Marken da ist, die ausgeglichen werden müssen, bevor Sie Ihren Aufstieg in gewisse Höhen des Okkulten machen könne, würden Sie Ihr ganzes Schuldkonto sehen. Dieses nun tritt dem Schüler entgegen und muß ihm entgegentreten in einer sinnbildlichen und greifbaren Gestalt – dasjenige, was wir noch abzutragen haben, was uns noch hemmt: das unausgetragene Karma. Das ist der Hüter der Schwelle. 98.37

     Der Mensch entwickelt ja in der gewöhnlichen physisch-sinnlichen Welt sein Ich, sein Selbstbewusstsein. Dieses Ich wirkt nun wie ein Anziehungs-Mittelpunkt auf alles, was zum Menschen gehört. Alle seine Neigungen, Sympathien, Antipathien, Leidenschaften, Meinungen und so weiter gruppieren sich gleichsam um dieses Ich herum. Und es ist dieses Ich auch der Anziehungspunkt für das,  was man das Karma des Menschen nennt. Würde man dieses Ich unverhüllt sehen, so würde man an ihm auch bemerken, daß bestimmt geartete Schicksale es noch in dieser oder den folgenden Verkörperungen treffen müssen. Mit alle dem, was so am Ich haftet, muß es nun als erstes Bild vor die Menschenseele treten, wenn diese in die seelisch-geistige Welt aufsteigt. Dieser Doppelgänger des Menschen muß, nach einem Gesetz der geistigen Welt, vor allem anderen als dessen erster Eindruck In jener

 

 

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Welt auftreten. Man kann das Gesetz, welches da zugrunde liegt, sich leicht verständlich machen, wenn man das Folgende bedenkt. Im physisch sinnlichen

Leben nimmt sich der Mensch nur insofern wahr, als er sich in seinem Denken, Fühlen und Wollen innerlich erlebt. Durch innerliche Wahrnehmung lernt sich der Mensch nur zum Teil kennen, (denn) er hat nämlich etwas in sich, was in an einer tiefergehenden Selbsterkenntnis hindert. Es ist dies ein Trieb, sogleich, wenn er durch Selbsterkenntnis sich eine Eigenschaft gestehen muß und sich keiner Täuschung über sich hingeben will, diese Eigenschaft umzuarbeiten. Dringt der Mensch aber in sich selbst und hält er sich ohne Täusch diese oder jene seiner Eigenschaften vor, so wird er entweder in der Lage sein, sie an sich zu verbessern oder aber er wird dies in der gegenwärtigen Lage seines Lebens nicht können. In dem letzteren Falle wird seine Seele ein Gefühl beschleichen, das man als Gefühl des Schämens bezeichnen muß. 13.376f     Nun hat ja dieses Gefühl schon im gewöhnlichen Leben eine ganz bestimmte Wirkung. Das Schämen ist eine Kraft, welche den Menschen antreibt, etwas in sein Inneres zu verschließen und dies nicht äußerlich wahrnehmbar werden zu lassen. Wenn man dies gehörig bedenkt, so wird man begreiflich finden, daß die Geistesforschung einem inneren Seelenerlebnis, da mit dem Gefühl des Schämens ganz nahe verwandt ist, noch viel weitergehende Wirkungen zuschreibt. Sie findet, daß es in den verborgenen Tiefen der Seele eine Art verborgenes Schämen gibt, dessen sich der Mensch im physisch-sinnlichen Leben nicht bewußt wird. Dieses verborgene Gefühl  wirkt aber in einer ähnlichen Art wie das gekennzeichnete offenbare des gewöhnlichen Lebens; es erhindert, daß des Menschen innerste Wesenheit in einem wahrnehmbaren Bilde vor den Menschen hintritt. Wäre dieses Gefühl nicht da, so würde der Mensch vor sich selbst wahrnehmen, was er in Wahrheit ist; er würde seine Vorstellungen, Gefühle und seinen Willen nicht nur innerlich erleben, sondern sie wahrnehmen, wie er Steine, Tiere und Pflanzen wahrnimmt. So ist dieses Gefühl der  Verhüller des Menschen vor sich selbst. Und damit ist es zugleich der Verhüller der ganzen geistig-seelischen Welt. Denn indem sich des Menschen eigene innere Wesenheit vor ihm verhüllt, kann er auch das nicht wahrnehmen, an dem er die Werkzeuge entwickeln sollte, um die geistig-seelische Welt zu erkennen; er kann seine Wesenheit nicht umgestalten, so daß sie geistige Wahrnehmungsorgane erhielte. Wollte der Mensch nur einen Schritt machen, um in diese Welt einzudringen, so verbirgt das sogleich auftretende, aber nicht zum Bewusstsein kommende Gefühl des  Schämens das Stück der geistig-seelischen Welt, das zum Vorschein kommen will. Die charakterisierten Übungen (siehe: Schulung) aber schließen diese Welt auf. Nun ist (aber) die Sache so, daß jenes verborgene Gefühl wie ein großer Wohltäter des Menschen wirkt. Denn durch alles das, was man sich ohne geisteswissenschaftliche Schulung an Urteilskraft, Gefühlleben und Charakter erwirbt, ist man nicht imstande, die Wahrnehmung der eigenen Wesenheit in ihrer wahren Gestalt ohne weiteres zu ertragen. Man würde durch diese Wahrnehmung alles Selbstgefühl, Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein verlieren. 13.378f

     Wer in richtiger Art zu erst in der physischen Welt durch seinen Verstand das Karmagesetz begriffen hat, der wird nicht besonders erbeben können, wenn er nun die Keime seines Schicksales eingezeichnet sieht in dem Bilde seines Doppelgängers. Wer durch seine Urteilskraft sich bekanntgemacht hat mit der Welten- und Menschheitsentwickelung und weiß, wie in einem bestimmten Zeitpunkte dieser Entwickelung die Kräfte des Luzifer in die menschliche Seele

 

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eingedrungen sind, der wird es unschwer ertragen, wenn er gewahr wird, daß in dem Bilde seiner eigenen Wesenheit diese luziferischen Wesenheiten mit allen ihren Wirkungen enthalten sind.

     Man sieht aber hieraus, wie notwendig es ist, daß der Mensch nicht den eigenen Eintritt in die geistige Welt verlange, bevor er durch seine gewöhnliche in der physisch-sinnlichen Welt entwickelte Urteilskraft gewisse Wahrheiten über die geistige Welt verstanden hat. Außer durch das geschilderte Betreten der über-sinnlichen Welt begegnet der Mensch noch beim Durchgang durch den physischen Tod diesem Hüter der Schwelle. Und er enthüllt sich nach und nach im Verlaufe des Lebens in der seelisch-geistigen Entwickelung zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Da aber kann die Begegnung den Menschen nicht bedrücken, weil er da von anderen Welten weiß als in dem Leben zwischen Geburt und Tod. 13.380f

     Wenn der Geistesschüler die Begegnung mit dem Hüter hinter sich hat, dann stehen ihm beim Aufstieg in übersinnliche Welten weitere Erlebnisse bevor. Er wird sich eine Art von Kampf ergeben gegen den Doppelgänger. Derselbe wird fortwährend die Überhand anstreben. Sich in das rechte Verhältnis zu ihm (zu) setzen, ihn nichts tun zu lassen, was nicht unter dem Einflusse des neugeborenen <Ich> geschieht, das stärkt und festigt aber auch des Menschen Kräfte. – Nun ist es in der höheren Welt mit der Selbsterkenntnis nach einer gewissen Richtung hin anders als in der physisch-sinnlichen Welt. Während in der letzteren die Selbst-erkenntnis nur als inneres Erlebnis auftritt, stellt sich das neugeborene Selbst sogleich als seelisch-äußere Erscheinung dar. Man sieht sein neugeborenes Selbst wie ein anderes  Wesen vor sich. Aber man kann es nicht ganz wahrnehmen. Denn welche Stufe man auch erstiegen haben mag auf dem Wege in die übersinnlichen Welten hinauf: es gibt immer noch höhere Stufen. Auf solchen wird man immer noch mehr wahrnehmen als von seinem <höheren Selbst>*. Nun ist aber die Versuchung ungeheuer groß, welche den Menschen  befällt, wenn er zuerst irgend etwas von seinem höheren Selbst gewahr wird, dieses höhere Selbst gleichsam von dem Standpunkte aus zu betrachten, welchen man in der physisch-sinnlichen Welt gewonnen hat. Diese Versuchung ist sogar gut, und sie muß eintreten, wenn die Entwickelung richtig vor sich gehen soll. Man muß das betrachten, was als der Doppelgänger, der Hüter der Schwelle, auftritt, und es vor das höhere Selbst stellen, damit man den Abstand bemerken kann zwischen dem, was man ist, und dem, was man werden soll. Bei dieser Betrachtung beginnt der Hüter aber eine ganz andere Gestalt anzunehmen. Er stellt sich dar als ein Bild aller der Hindernisse, welche sich der Entwickelung des höheren Selbst entgegenstellen. Man wird wahrnehmen, welche Last man an dem gewöhnlichen Selbst schleppt. 13.38f

     Und ist man dann durch seine Vorbereitungen nicht stark genug, sich zu sagen: Ich werde hier nicht stehen bleiben, sondern unablässig mich zu dem höheren Selbst hinaufentwickeln, so wird man erlahmen und zurückschrecken vor dem, was bevorsteht. Man ist dann in die seelisch-geistige Welt hineingetaucht, gibt es aber auf, sich weiterzuarbeiten. Man wird ein Gefangener der Gestalt, die jetzt durch den Hüter der Schwelle vor der Seele steht. Das Bedeutsame ist, daß man bei diesem Erlebnis nicht die Empfindung hat, ein Gefangener zu sein. Man wird vielmehr etwas ganz anderes zu erleben glauben. Die Gestalt, welche der Hüter der Schwelle hervorruft, kann so sein, daß sie in der Seele des Beobachters den Eindruck hervorbringt, dieser habe nun in den Bildern, welche auf dieser Entwickelungsstufe auftreten, schon den ganzen Umfang aller nur möglichen Welten vor sich; man sei

 

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auf dem Gipfel der Erkenntnis angekommen und brauche nicht weiter zu streben. Statt als Gefangener wird man sich so als der unermesslich reiche Besitzer aller Weltengeheimnisse fühlen können.

     Die Gestalt, welche man auf dieser Stufe der Entwickelung wahrnimmt, zeigt dem Geistesschüler noch etwas anderes als diejenige, in der sich ihm zuerst der Hüter der Schwelle dargestellt hat. In diesem Doppelgänger waren wahrzunehmen alle diejenigen Eigenschaften, welche das gewöhnliche Selbst des Menschen hat infolge des Einflusses der Kräfte des Luzifer*. Nun ist aber im Laufe der menschlichen Entwickelung durch den Einfluß Luzifers die Macht (des Ahriman*) in die Menschen- seele eingezogen. Es ist dies die Kraft,  welche den Menschen im sinnlich-physischen Dasein verhindert, die hinter der Oberfläche des Sinnlichen liegenden geistig-seelischen Wesenheiten der Außenwelt wahrzunehmen. Was unter dem Einflusse dieser Kraft aus der Menschenseele geworden ist, das zeigt im Bilde die Gestalt, welche bei den entsprechenden Ereignissen auftritt. – Wer entsprechend vorbereitet an dieses Erlebnis herantritt, der wird ihm seine wahre Deutung geben; und dann wird sich bald eine andere Gestalt zeigen, diejenige, welche man den <großen Hüter der Schwelle> im Gegensatz zu dem gekennzeichneten <kleinen Hüter> nennen kann. Dieser teilt dem Geistesschüler mit, daß er nicht stehenzubleiben hat auf dieser Stufe, sondern energisch weiterzuarbeiten. Er ruft in dem Beobachter das Bewusstsein hervor, daß die Welt, die erobert ist, nur eine Wahrheit wird und sich in keine Illusion verwandelt, wenn die Arbeit in entsprechender Art fortgesetzt wird. – Wer aber durch eine unrichtige Geistesschulung unvorbereitet an dieses Erlebnis herantreten würde, dem würde sich dann, wenn er an den großen Hüter der Schwelle kommt, etwas in die Seele gießen, was nur dem <Gefühle eines unermeßlichen Schreckens>, einer <grenzenlosen Furcht>, verglichen werden kann. 13.389f

     Wie die Begegnung mit dem kleinen Hüter dem Geistesschüler die Möglichkeit gibt, sich zu prüfen, ob er gegen die Täuschungen geschützt ist, welche durch Hineintragen seiner Wesenheit in die übersinnliche Welt entstehen können, so kann er sich an den Erlebnissen, die zuletzt zu dem große Hüter führen, prüfen, ob er jenen Täuschungen gewachsen ist, welche oben auf die zweite gekennzeichnete Quelle zurückgeführt wurden. Vermag er jener gewaltigen Illusion Widerstand zu bieten, welche ihm die errungene Bilderwelt als einen reichen Besitz vorgaukelt, während er doch nur ein Gefangener ist, so ist er im weiteren Verlauf seiner Entwickelung auch davor bewahrt, Schein für Wirklichkeit zu nehmen.

     Der Hüter der Schwelle wird für jeden einzelnen Menschen eine individuelle Gestalt bis zu einem gewissen Grade annehmen. Die Begegnung mit ihm entspricht ja gerade demjenigen Erlebnis, durch welches der persönliche Charakter der über-sinnlichen Beobachtungen überwunden und die Möglichkeit gegeben wird, in eine Region des Erlebens einzutreten, die von persönlicher Färbung frei und für jede Menschenwesenheit gültig ist. Wenn der Geistesschüler die beschriebenen Erlebnisse gehabt hat, dann ist er fähig, in der seelisch-geistigen Umwelt dasjenige, was er selber ist, von dem, was außer ihm ist, zu unterscheiden. 13.390f

     Wenn der Mensch seinen physischen Leib verlässt, in welchem er die physische Welt zur Umwelt hat, er die elementarische Welt (siehe Astralplan*) betritt; und dann, wenn er diese elementarische Welt zur Umwelt hat, lebt er im ätherischen Leibe. Wenn er dann hellsichtig aus dem ätherischen Leibe herausgeht, dann lebt er im astralischen Leibe und hat zur Umwelt die geistige Welt (siehe: Devachan unteres).

 

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Und der Mensch kann auch aus seinem astralischen Leibe herausgehen und kann in seinem wahren Ich sein. Dann hat er zur Umgebung die übergeistige Welt (siehe: Devachan oberes). Indem der Mensch in diese Welten eintritt, gelangt er zuletzt zu dem, was er in seinen Seelentiefen immer hat, zu seinem wahren Ich, während er schon in der geistigen Welt (unterem Devachan) zu der Art gelangt, wie in ihr das wahre Ich, das andere Selbst sich offenbart, nämlich umhüllt von Gedankenlebe- wesenheit. Im Grunde genommen tragen wir also wie unseren ständigen Begleiter dieses wahre Ich immer in uns. An der Schwelle zur geistigen Welt kann sich dieses wahre Ich kleiden in alles das, was unsere Schwächen, unsere Mängel sind, in alles das, was uns sozusagen geneigt macht, hängen zu bleiben mit unserem ganzen Wesen an der physisch-sinnlichen Welt oder wenigstens an der elementarischen Welt. Und dieses andere Selbst kleidet sich in unsere Schwächen, in all das, was wir eigentlich verlassen müssen und nicht verlassen wollen, weil wir gewohnheitsmäßig als physisch-sinnliche Menschen daran hängen, wenn wir die Schwelle überschreiten wollen. Wir begegnen also an der  Schwelle zur geistigen Welt einem Geistwesen, das sich unterscheidet von allen anderen  Geistwesen, denen wir in den über-sinnlichen Welten begegnen können. Alle anderen Geistwesen erscheinen gleichsam mehr oder weniger mit Hüllen, die doch ihrem Eigensein mehr angemessen sind, als es mit den Hüllen des Hüters der Schwelle der Fall ist. Er kleidet sich in diejenige, was uns nicht nur Sorgen und Kummer, sondern oft Abscheu und Widerlichkeit erweckt. Er kleidet sich in unsere Schwächen, in das, von dem wir sagen können, wir erbeben in Furcht, uns nicht von ihm zu trennen, oder auch, wir erröten nicht nur, wir vergehen fast in Scham, wenn wir hinschauen müssen auf das, was wir sind und in was sich der Hüter der Schwelle kleidet. 147.13f

     Nun kommt man nicht so leicht an dem Hüter der Schwelle vorbei. Man kann sagen: Im Verhältnis zu einer wahren, richtigen Anschauung der geistigen Welten ist es leicht, überhaupt eine Anschauung der geistigen Welten zu gewinnen. Irgendwelche Eindrücke der geistigen Welt zu haben, ist eigentlich, besonders in unserem heutigen Zeitpunkt, nicht so ganz besonders schwierig. Aber in die geistige Welt so einzutreten, daß man sie in ihrer Wahrheit schaut, das macht notwendig, wenn es einem vielleicht auch erst spät aufbewahrt ist, die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle zu haben, daß man sich doch gut vorbereitet haben muß, um sie, wenn man sie haben kann, in der richtigen Weise zu erleben. – Die meisten Menschen oder wenigstens sehr viele kommen sozusagen bis zum Hüter der Schwelle. Es handelt sich aber immer um das wissende Kommen zum Hüter der Schwelle. Unbewußt stehen wir jede Nacht vor ihm. Und dieser Hüter der Schwelle ist eigentlich ein recht großer Wohltäter, daß er sich nicht sehen läßt, denn die Menschen würden ihn nicht ertragen. Was wir unbewußt in jeder Nacht der Tatsache nach erleben, zum Wissen zu bringen, heißt eigentlich, die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle zu haben. Für gewöhnlich gehen die Menschen gerade so weit, daß sie gerade bis zu der Grenze kommen, wo sozusagen der Hüter steht. Die Seele erlebt nämlich diesen Augenblick im Dämmerzustand zwischen Bewusstheit und Unbewußtheit, sie läßt ihn nicht ganz zum Bewusstsein kommen. Die Seele neigt dazu, an der Grenze sich selber zu sehen, wie sie ist, wie sie hängt an der physischen Welt mit ihren Schwächen und Mängeln. Aber die Seele kann das nicht ertragen, und noch früher, als der ganze Vorgang zum Bewußtsein kommen kann, betäubt sich sozusagen diese Seele das Bewußtsein durch den Abscheu, den sie hat. Und solche Momente, wo die Seele ihr Bewußtsein betäubt,  sind die besten

 

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Angriffspunkte für die ahrimanischen Wesenheiten. Wir kommen in der Tat hin zum Hüter der Schwelle, indem mit einer ganz besonderen Stärke und Kraft sich zum Beispiel unser Selbstgefühl ausgebildet hat. Dieses Selbstgefühl müssen wir erstarken, wenn wir uns in die  geistige Welt hinaufleben wollen. Mit der Erkraftung dieses Selbstgefühls erkraften sich auch alle Neigungen und Gewohnheiten, die Schwächen und Vorurteile, die sonst in der äußeren Welt durch Erziehung, durch Gewöhnung, durch die äußere Kultur in ihren Grenzen zurückgehalten werden. An der Schwelle der geistigen Welt machen sich von innen heraus die luziferischen Impulse recht geltend, und, in dem die Menschenseele die Tendenz hat, sich zu betäuben, verbindet sich sogleich Luzifer* mit Ahriman*, und die Folge ist dann, daß dem Menschen der Eintritt in die  geistige Welt verwehrt wird. Wenn aber eine besondere Gier da ist, in die geistige Welt hineinzukommen, dann nascht man an der geistigen Welt. Und das, was man genascht hat, verdichtet Ahriman, daß es ganz nach den Mustern von physischen Eindrücken aussieht. Kurz, er hat Halluzinationen, Illusionen, er glaubt vor einer geistigen Welt zu stehen. Und das,  was er da genascht hat, verdichtet sich zu dem, was durchaus wahre Bilder der geistigen Welt enthalten kann, aber was das Wichtigste nicht enthält, wodurch die Seele ein klares Anschauen über die Wahrheit und den Wert dessen, was sie sieht, haben kann. 147.138 ff

     Es steht abends, wenn wir einschlafen, ein Hüter, das ist der große Hüter der Schwelle, der uns nicht hineinläßt in die geistige Welt (Makrokosmos*), solange wir unreif sind. 124.103    In dem Augenblick, wo der Mensch des Morgens aufwacht, tritt er eigentlich ein in das Tor der eigenen Wesenheit (Mikrokosmos*). An diesem Tor steht ein Wächter; dieser Wächter ist der kleine Hüter der Schwelle. Er läßt den Menschen nicht eintreten in die eigene Wesenheit (in den Mikrokosmos*), sondern lenkt ihn sogleich in die äußere Welt  ab. Jeden Morgen trifft der Mensch diesen kleinen Hüter der Schwelle. 124.95    Wenn wir allen äußeren Eindrücken Stillstand gebieten, dann kommen wir vorbei an dem kleinen Hüter der Schwelle. 119.102    In ganz anderer Weise werden Angst und Besorgniszustände (bei der Begegnung mit dem Hüter) überwunden, wenn man vorher durch das Erfassen der Erzählungen der höheren Welten hindurchgegangen ist, als wenn dies nicht geschehen ist. Dann aber, wenn der Mensch dieses Erlebnis gehabt hat, daß er sich selbst gegenüber getreten ist, daß er also dem Hüter der Schwelle begegnet ist, dann beginnt für ihn die Welt eine ganz andere zu werden: dann erfahren in einer gewissen Beziehung alle Dinge der Welt eine neue Gestalt. 113.43     Die zwei Warnungen (des Hüters) sind sehr verschieden.  Beim Eintritt in die geistige Welt spricht der Hüter der Schwelle: Vergiß für die Momente deines geistigen Erkennens die physisch-sinnliche Welt. Für den Austritt aus der geistigen in die physisch-sinnliche Welt spricht der Hüter: Vergiß niemals, erinnere dich stets auch wiederum in der physisch-irdischen Welt deiner Erfahrungen in der geistig-himmlischen Welt. 227.112

     Die Begriffe* und Ideen*, mit denen der Mensch heute aufwachsen muß, sie haben die Eigentümlichkeit: wenn man mit ihnen, so wie man mit ihnen geworden ist durch die gegenwärtige Zivilisation und Schule, in die geistige Welt eintritt, wird man seelisch paralysiert. Denn so ist die Welt der abstrakten Ideen, die der Mensch heute anknüpft an alles: man kann mit ihnen hinein in die geistige Welt, aber nicht wieder mit ihnen heraus. Und wenn man diese Szene sieht, die wirklich heute im Schlafe mehr Seelen erleben, als man gewöhnlich glaubt, dann sagt man sich: Oh, wenn es

 

 

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nur gelänge, diese Seelen davor zu behüten, daß, was sie im Schlafe erleben, sie nicht auch im Tode erleben müssen. Denn wenn der Zustand, der so erlebt wird vor

dem Hüter der Schwelle lange genug fortdauern würde, das heißt, wenn die menschliche Zivilisation lange unter demjenigen bliebe, was man heute in den Schulen aufnehmen, durch die Zivilisation überliefert erhalten kann, dann würde aus dem  Schlafe Leben werden. Die Menschenseelen würden hinübergehen durch die Pforte des Todes in die geistige Welt, aber nicht wieder eine Kraft der Ideen in das nächste Erdenleben bringen können. Zuletzt würde das bewirken, daß ein Menschengeschlecht in der Zukunft geboren würde, welches keinen Verstand, keine Möglichkeit, Ideen im Leben anzuwenden, in diesen künftigen Erdenleben zeigen, und das Denken, das Leben in Ideen würde von der Erde verschwinden. Ein krankhaftes, bloß instiktives Menschengeschlecht würde die Erde bevölkern müssen. 233.151f

 

Hüter der Schwelle – Christi Versuchungsgeschichte. (Bei der Begegnung mit dem Hüter) kommen wir dazu, daß wir uns selbst erkennen, wie wir jetzt als Resultat der vorhergehenden Inkarnation zu der gegenwärtigen Gestalt geworden sind. Aber wir erkennen auch, wie wir den tiefsten Schmerz empfinden können und uns über diesen Schmerz emporarbeiten müssen zur Überwindung unseres gegenwärtigen Daseins. Und für jeden, der nur genügend weit fortgeschritten ist und die Empfindungen in ihrer ganzen Intensität durchgemacht hat, der geschaut hat den Hüter der Schwelle, taucht dann mit Notwendigkeit ein Imaginationsbild auf, mit dem Bilde des göttlichen Idealmenschen, der in einem physischen Leibe uns selbst gleich lebt. Die Versuchung und das Bild, das uns in den synoptischen Evangelien geschildert wird von der Versuchung, dem Hinführen des Christus Jesus zu dem Berge, von dem Versprechen aller äußeren Realitäten, dem Festhaltenwollen an den äußeren Realitäten, die Versuchung an der Materie hängen zu bleiben, kurz, die Versuchung, beim Hüter der Schwelle zu bleiben und nicht über ihn hinauszu-

schreiten, das erscheint uns in dem großen Idealbilde des Christus Jesus auf dem Berge stehend und der Versucher neben ihm – das sich uns entgegenstellen würde, selbst wenn wir nie etwas von den Evangelien gehört hätten.

     Dann geht in uns eine andere Empfindung auf, eine Art nächster Stufe des okkulten Weges. Wir fühlen, wie der Versucher, der da aufgetreten ist, sich auswächst zu einem mächtigen Wesen, das hinter allen Erscheinungen der Welt ist. Ja, wir lernen zwar den Versucher kennen, aber wir lernen ihn doch nach und nach in einer gewissen Weise schätzen. Wir lernen sagen: Die Welt, die sich vor uns ausbreitet, mag sie nun Maya* sein oder etwas anderes, sie hat ihre Berechtigung; sie hat uns etwas zur Offenbarung gebracht.

     Da tritt etwas Zweites auf, das wieder als ein ganz konkretes Gefühl geschildert werden kann. Das Gefühl tritt auf: Wir gehören dem Geiste an, der in allen Dingen lebt, und mit dem wir rechnen müssen. Wir können gar nicht hinter den Geist kommen, wenn wir ns nicht dem Geiste hingeben. Und da wird uns angst! Wir machen eine Angst durch, die jeder wirkliche Erkenner durchmachen muß; ein Empfinden der Größe des in der Welt ausgebreiteten Weltengeistes. Sie steht vor uns, und unsere eigene Ohnmacht empfinden wir und empfinden auch, was wir geworden wären im Laufe des Erdenganges oder der Welt überhaupt, und empfinden unser ohnmächtiges Dasein, das so weit von dem göttlichen Dasein

 

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entfernt ist. Da empfinden wir Angst vor dem Ideal, dem wir gleich werden müssen, und von der Größe der Anstrengung, die uns hinführen soll zu dem Ideal. –

Wie wir die ganze Größe der Anstrengung empfinden müssen durch die Esoterik, so müssen wir auch diese Angst empfinden als ein Ringen mit dem Geiste der Welt. Das Bild des Christus in Gethsemane steht vor uns, wie er die Angst erlebt in ungeheuer gesteigertem Maße, die wir selbst empfinden müssen auf dem Erkenntnispfad – die Angst, die ihm den Blutschweiß auf die Stirne treibt. Dieses Bild haben wir auf einem bestimmten Punkte unseres okkulten Weges ohne äußere Urkunden. 131.71ff

 

Hüter der Schwelle als Erlebnis. Wenn die Seele die entsprechenden Übungen zur geistigen Schulung* durchmacht, (dann) muß der Mensch auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung im Grunde genommen mit seinem Bewusstsein alles verlassen, was ihm im bisherigen Leben, im äußeren Alltagsleben und in der gewöhnlichen Wissen-schaft Wahrheitshalt und Wahrheitssicherheit gibt, was ihm die Möglichkeit gibt, etwas als Wirklichkeit zu erkennen. Alle Stützen, die wir für unser Urteilen im gewöhnlichen Leben haben, alle Anhaltspunkte, die uns die Sinnenwelt gibt und die uns lehren, wie wir von der Wahrheit zu denken haben, müssen verlassen werden. Denn wir wollen ja durch die Geistesschulung in eine höhere Welt eintreten. Wenn der Geistesforscher nunmehr auf einer entsprechenden Stufe seiner Entwickelung sieht: Du kannst nicht mehr in der Welt, in die du da eintreten willst, irgendwie einen Halt haben an der äußeren Sinneswahrnehmung, du kannst auch nicht an dem, was du dir als dein Verstandesurteil herangezogen hast, das dich sonst durch das Leben richtig führt, einen Halt haben -, dann kommt der Moment, der bedeutungsvoll und ernst im Leben des Geistesforschers ist, wo er sich so fühlt, wie wenn ihm der Boden unter den Füßen entzogen ist, wie wenn der Halt fort ist, den er im gewöhnlichen Leben gehabt hat, wie wenn alle Sicherheit dahin wäre, und wie wenn er einem Abgrunde entgegenginge und mit jedem weiteren Schritte in einen Abgrund hinein- fallen müßte. Dies muß in einer gewissen Beziehung ein Erlebnis der Geistes-schulung werden. Man fühlt sich wie über einem Abgrunde. Aber man ist bereits in der seiner Seele so ruhig geworden, daß man die Situation mit einer nun erlangten besonderen Urteilsfähigkeit überschaut, so daß nicht das auftritt, was sonst in die menschliche Seele gefahrvoll hereinbrechen müßte an Furcht, an Schrecken und Grauen. 62.392ff

     Da haben wir wieder einen Punkt, wo es notwendig ist, daß die Seele die Wahr- heit erkennen muß und nicht in den Irrtum hineinfallen darf, weil der Halt, den man im gewöhnlichen Leben hat, dahinschwindet, und die Seele wie über einem Abgrund gestellt sich fühlt. Das muß eintreten, damit aus dem Leeren heraus das volle Geistige der Welt an die Seele herantreten kann. Was man im gewöhnlichen Leben Ängstlichkeit, Furchtsamkeit nennt, das wird durch eine solche Schulung ebenso verstärkt, vergrößert, wie Selbstsinn und Eigenliebe verstärkt und vergrößert werden. Sie erwachsen sozusagen wie zu einer Naturkraft. Wir müssen sozusagen in der Lage sein, uns vor der Furcht nicht zu fürchten, uns vor dem Schrecken nicht zu erschrecken, uns vor der Ängstlichkeit nicht zu ängstigen. Das ist paradox, aber es entspricht durchaus einem wirklichen Seelenerlebnis, das auf diesem Gebiete auftritt. Dieses Erlebnis des verstärkten eigenen Selbstes desjenigen Inneren, das uns sonst gar nicht vor die Seele tritt, das ist das erschütternde Ereignis, das man die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle nennt. Und dadurch, daß man diese

 

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Begegnung hat, erlangt man erst die Fähigkeit, Wahrheit in der geistigen Welt von Irrtum zu unterscheiden.

     Die geistige Welt umgibt uns immer, und sie ist auch immer hinter dem, was die Sinne wahrnehmen. Aber bevor der Mensch in sie eintreten kann, muß er sein Ich verstärken. Mit der Verstärkung des Ichs treten aber die genannten Eigenschaften auf.  62.394f

     Im Grunde genommen haben alle  Menschen, die noch nicht in die geistige Welt eingetreten sind, aber sich ein Verständnis dafür angeeignet haben, in einem gewissen Grade diesen Schrecken, diese Furcht vor der geistigen Welt. Was man auch über diese Furcht und Angst denken mag, die auf dem Grunde der Seele sind – sie treten nur bei dem einen stärker, bei dem anderen schwächer auf. Und weil die Seele dadurch Schaden nehmen könnte, deshalb ist der Mensch durch die weise Einrichtung seines Wesens davor geschützt, daß er so ohne weiteres in die  geistige Welt hineinschauen kann, so daß er das Erlebnis mit dem Hüter der Schwelle erst haben kann, wenn er dazu reif ist. Sonst ist er davor geschützt. 62.397

     Wenn man in die übersinnlichen Welten eintritt, kann man ein Wesen finden, welches nach allen Begriffen, die man sich im Sinnensein angeeignet hat, als ein schönes (wahres und gutes) Wesen bezeichnen muß, als ein herrliches Wesen vielleicht; schön, strahlend, herrlich. Nun hat man es vor sich. Es ist aber kein Beweis, daß es auch ein ganz gutes Wesen ist, wenn es einem so entgegentritt, es kann auch ein böses sein und einem in der hehrsten Engelsgestalt entgegentreten. Es kann ein Teufel in Engelsgestalt sein. Das ist durchaus möglich in den über-sinnlichen Welten. Nach und nach kommt man hinter die Sache, wenn man sich mit dem hellseherischen Bewusstsein der Sache gegenüberstellt. Man hat also vor sich eine Engelsgestalt und man kann sich jetzt sagen, wenn man es so weit gebracht hat, denkend bleiben zu können beim übersinnlichen Anschauen: Daß du jetzt einen Engel siehst oder irgendeine herrliche Gestalt, dadurch mußt du dich nicht täuschen lassen; das kann alles mögliche sein, es kann ein Engel sein, kann aber auch ein Teufel sein. Nun kann man anfangen mit dem, was man oft tun muß, wenn man hinaufrückt in die höheren Welten: mit einer gehörigen Selbstprüfung. Man kann mit sich zu Rate gehen und untersuchen, wie viel Eigenschaften von Selbstsinn, von Egoismus man in sich hat. Dann durchdringt sich die Seele mit mancherlei Bitternissen, aber dieses Bittere, Peinigende kann gerade dazu führen, daß man sich wieder eine kurze Zeit reinigt, daß man sich läutert in seinem Selbstsinn, in seinem Egoismus. Und wenn man dadurch zu dem Urteil kommt, wie wenig man eigentlich frei ist von dem Selbstsinn und daß man danach streben muß, frei zu werden, dann erleuchtet sich einem der ganze Prozeß, der sich abspielt im Seeleninneren. Wenn man es nun so weit gebracht hat, daß einem, wenn man solche Selbstbetrachtung anstellt, das nicht entfällt, was man anschaut – denn das wird in der Regel bei den ersten Schritten geschehen -, so fängt unter Umständen der Engel an, gar kein Engel zu sein, sondern recht häßliche Formen anzunehmen,  und man kann nach und nach dahinter kommen, daß man sich sagt: Dem Wesen, dem du da als einem bösen entgegengetreten bist, hast du die Möglichkeit gegeben, seine Bösartigkeit zum Ausdruck zu bringen, indem es dir erst eine ganz andere Gestalt vorgaukelte; aber du hast es bezwungen, dir seine wahre Gestalt zu zeigen, indem du dich mit reineren Gefühlen durchdrungen hast. 138.58f

     Wie man hineintritt in die übersinnliche Welt, mit welchen Qualitäten, danach stellt sie sich einem dar. Was man die Quelle der Täuschungen nennt, damit muß man

 

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noch ganz anders vorgehen, als es gewöhnlich geschieht. Von einem Teufel ist es schön, wenn er sich als Teufel darstellt, während es häßlich ist, wenn er eine Engels-

Gestalt darstellt. Man muß gründlich an der Grenze umlernen und zwar nicht theoretisch, sondern lebendig. Man kann das überhaupt nicht brauchen, was man sich in der Sinnenwelt an Vorstellungen angeeignet hat, man muß es zurücklassen. Ich muß zurücklassen – so kann man es sich bei guter Selbstbesinnung sagen – eigentlich alles, was ich in den  verschiedenen Inkarnationen vom Erdenurbeginn an bis in die Jetztzeit auf der Erde erlebt, erlernt, mir angeeignet habe. Das muß ich hier ablegen, denn ich betrete eine Welt, in welcher das, was man innerhalb der Inkarnationen lernen kann, keinen Sinn mehr hat. Es ist leicht, so etwas auszu-sprechen; es ist leicht so etwas anzuhören; es ist leicht, das in Begriffsabstraktionen zu fassen. Aber es ist eine ganze innere Welt, so etwas zu empfinden, zu fühlen, zu erleben: alles dort abzulegen wie die Kleider, was man in all den Inkarnationen in dem Sinnensein sich angeeignet hat, um in eine Welt hineinzugehen, innerhalb welcher das alles keinen Sinn mehr hat. So steht man an der Grenze zwischen Sinnensein und Geistessein nicht einem Begriffssystem, sondern einer Realität gegenüber, die nur als eine übersinnliche Realität wirkt, aber so konkret, so lebendig wie ein Mensch: das ist der Hüter der Schwelle. Er ist da, als ein konkretes, reales Wesen. Und lernt man ihn kennen, so lernt man ihn auch kennen als ein Wesen, dass in die Kategorie von Wesen gehört, die in einer  gewissen Weise mitgemacht haben das Leben vom Erdenurbeginn, dann aber nicht dasjenige mitgemacht haben, was man als Seelenwesen erlebt. 138.60ff

     Da kommen wir mit einem Wesen zusammen, demgegenüber man sich sagt: Ich habe ein Wesen vor mir, das erfährt und erlebt vieles in der Welt; aber es beschäftigt sich nicht mit dem, was man an Liebe, an Schmerzen und Pein, aber auch an Fehlern und Unmoralischem auf der Erde erleben kann; es weiß nichts und will nichts wissen von dem, was sich abgespielt hat in der menschlichen Grundwesenheit bis jetzt. Die christliche Überlieferung drückt diesen Tatbestand dadurch aus, daß sie sagt: Vor dem Geheimnis der Menschwerdung verhüllen diese Wesenheiten ihr Antlitz. Eine ganze Welt ist in dem Unterschiede zwischen diesen Wesenheiten und den menschlichen Wesenheiten ausgedrückt. Und nun kommt eine Empfindung, die man unmittelbar hat: Dadurch, daß du durch die Erdenkulturen durchgegangen bist, hast du dir notwendigerweise  Unvollkommenheiten angeeignet, aber du mußt wieder zurückkommen zu dem ursprünglichen Zustand, mußt auf der Erde den Weg wieder zurückfinden, und dieses Wesen kann dir das zeigen, weil es deine Fehler nicht angenommen hat. Jetzt steht man einem Wesen gegenüber wie einem wirklichen Vorwurf, groß und grandios, wie ein Ansporn zu dem, was man nicht ist. Das zeigt einem dieses Wesen in lebendigster Weise, und da kann man sich ganz ausgefüllt fühlen vor diesem Wesen vor dem Wissen dessen, was man ist oder nicht ist. Da steht man dem lebendigen Vorwurf gegenüber. In die Klasse der Erzengel, der Archangeloi gehört dieses Wesen. Sich selbst schaut man, wie man ist, und sich selbst schaut man, wie man nun werden soll! Vieles andere muß ebenso (wie die Vorstellungen) abgelegt werden. Man muß, wenn man bis zum Hüter der Schwelle hinkommt, eigentlich alles ablegen, was man von sich weiß. Man muß dann nur noch etwas haben, um es durchzubringen. 138.62f

     Der Mensch ist immer so, daß sich die Tätigkeiten der übersinnlichen Welt in ihm abspielen; er weiß nur nichts davon. Während wir denken, empfinden, wollen, läuft immer eine Tätigkeit des astralischen Leibes und ein Zusammenhang mit der

 

Hüter der Schwelle als Gnade                                                            Seite 71

 

astralen Welt nebenher. Aber der Mensch weiß nichts davon, weil er, wenn er das wissen würde, was seine eigenen Leiber sind, es nicht ertragen könnte und davon

betäubt würde. Daher muß diese Wesenheit, wenn ihr der Mensch ohne genügende Vorbereitung gegenübertritt, ihm das alles verhüllen und sich selber verhüllen; sie muß ein Schleier ziehen vor die übersinnliche Welt. Der Schutz des Menschen vor dem Sehen der übersinnlichen Welt ist die Funktion des Hüters der Schwelle. 138.64

     Kann ich denn dann noch selbst hineingehen in die geistige Welt, wenn ich mich zuerst ablegen muß? – Das ist es, daß der Mensch nichts von dem, wovon er weiß, daß er es ist, in die übersinnlichen Welten hinein mitnehmen kann, und daß alles, was er in diese Welten mit hineinnehmen kann, etwas ist,  wovon er nichts weiß in der gewöhnlichen Welt. Das sind die verborgenen, in den Untergründen der Seele liegenden Daseinselemente, die in dem Menschen drinnenstecken, von denen er nichts weiß. Nun gehört es zur Initiation*, daß das, was in den verborgenen Unter- gründen der Seele liegt an Daseinselementen, schon während des Sinnenlebens heraufgeholt und zum Bewußtsein gebracht wird. Und dieses verdichtete, verstärkte Seelenleben, wovon man sonst nichts weiß, kann hinübergehen in die geistige Welt. 138.69f

     Darauf kommt es an, daß man sich durch die vorhergehenden Meditationen, Konzentrationen und so weiter  bereitgemacht hat, daß man, wenn man über die Schwelle in die geistigen Welten hinüberkommt, die Kraft hat, in einer übersinnlichen Erinnerung festzuhalten, was man zurückgelassen hat, das bewahrt einem das, was man nennen könnte die Kontinuität, die Erhaltung des Selbstes. Auch im gewöhn-

lichen Leben geht einem der Zusammenhang des Bewusstseins und damit das eigentliche Selbst verloren, wenn man Dinge, an die man sich erinnern sollte, einfach auslöschen muß aus seinem Bewußtsein und krankhaft vergessen hat. 138.71

Siehe auch: Aufwacherlebnisse; Ausgangspunkt für eine okkulte Entwickelung; Schulung.

 

Hüter der Schwelle als Gespenst oder Alp. In zweifacher Weise erfährt der Mensch beim Hüter der Schwelle, wie so etwas, was in seinen Instinkten rumort, was also nicht er selbst ist – denn nur, was man bewußt erfasst, ist man selbst -, wie das vor ihm auftritt. Kommt man zur Schwelle, dann stellt sich heraus, dasjenige, wovon man instinktiv besessen ist, hat entweder die Form einer Gespenstergestalt oder eines Alpdruckes. Das, wovon der Mensch instinktiv besessen ist, tritt in dem einen Falle so auf vor dem Hüter der Schwelle, daß es wie eine äußere Wahrnehmung ist; sie ist dann halluzinär, sie tritt tatsächlich vor den Menschen hin und kündigt sich dem Menschen wie eine äußere Wahrnehmung an. Das ist der Gespenstcharakter. Dann ist man es los als Instinkt. Man darf sich nicht fürchten davor, daß so etwas als Gespenst auftritt, denn nur dadurch bekommt man es los, daß man es in der Objektivierung außen sieht. Die andere Form, in der ein solches Instinktives auftreten kann, das ist die als Alp. Das ist nicht eine Wahrnehmung von außen, sondern eine bedrückende Empfindung oder auch eine Nachwirkung in einer Vision von dem, was einen bedrückt, ein imaginatives Erlebnis, das man aber zugleich als Alpdruck empfindet. Jeder Instinkt, der im Menschen lebt, muß nach und nach, damit der Mensch vollständig Mensch werde, sich heraufheben und muß entweder Gespenst oder Alpdruck werden, denn nur dadurch wird man frei vom Instinktiven. 186.16f

 

Hüter als Schwelle der Gnade. Wir sprechen von einem Hüter der Schwelle, weil wirklich wie durch eine Gnade der weisheitvollen Weltenlenkung dasjenige der

 

Hüter der Schwelle großer                                                            Seite 72

 

Menschenseele zunächst entzogen war, was da unten auf dem tiefen Untergrunde

der Menschenseele kämpft und rumort und Krieg führt in unserem alltäglichen Leben. 272.117

 

Hüter der Schwelle großer. Betritt der Geheimschüler die übersinnliche Welt, dann erhält das Leben für ihn einen ganz neuen Sinn, er sieht in der sinnlichen Welt den Keimboden für eine höhere. Und in einem  gewissen Sinne wird ihm diese <höhere> ohne die <niedere> als eine mangelhafte erscheinen. Er sieht, daß er selbst, bevor er zum ersten Male in diese sinnliche Welt gekommen ist, einer übersinnlichen angehört hat. Aber diese einstige übersinnliche Welt brauchte den Durchgang durch die sinnliche. Ihre Weiterentwickelung wäre ohne diesen Durchgang nicht möglich gewesen. Erst wenn sich innerhalb des sinnlichen Reiches Wesen entwickelt haben werden mit entsprechenden Fähigkeiten, kann die übersinnliche wieder ihren Fortgang nehmen. Und diese Wesenheiten sind die Menschen. Diese sind somit, so wie sie jetzt leben, einer unvollkommenen Stufe des geistigen Daseins entsprungen und werden selbst innerhalb derselben zu derjenigen Vollkommenheit geführt, durch die sie dann tauglich sein werden zur Weiterarbeit an der höheren Welt. – Und hier knüpft der Ausblick in die Zukunft an. Er weist auf eine höhere Stufe der übersinn-lichen Welt. In dieser werden die Früchte sein, die in der sinnlichen ausgebildet werden. Die letztere als solche wird überwunden; ihre Ergebnisse aber einer höheren einverleibt sein. Damit ist das Verständnis gegeben für Krankheit und Tod in der sinnlichen Welt. Der Tod ist nämlich nichts anderes als der Ausdruck dafür, daß die einstige übersinnliche Welt an einem Punkte angekommen war, von dem aus sie durch sich selbst nicht weitergehen konnte. Ein allgemeiner Tod wäre notwendig für sie gewesen, wenn sie nicht einen neuen Lebenseinschlag erhalten hätte. Und so ist es zu einem Kampf gegen den allgemeinen Tod geworden. Aus den Resten einer absterbenden, in sich erstarrenden Welt erblühten die Keime einer neuen. Deshalb haben wir Sterben und Leben in der Welt. Und langsam gehen die Dinge ineinander über. Die absterbenden Teile der alten Welt haften noch den neuen Lebenskeimen an, die ja aus ihnen hervorgegangen sind. Den deutlichsten Ausdruck findet das eben im Menschen. Er trägt als seine Hülle an sich, was sich aus jener alten Welt erhalten hat; und innerhalb dieser Hülle bildet sich der Keim jenes Wesens aus, das zukünftig leben wird. Er ist also ein Doppelwesen, ein sterbliches und ein unsterbliches. Das Sterbliche ist in seinem End-, das Unsterbliche in seinem Anfangszustand. Aber erst innerhalb dieser Doppelwelt, die ihren Ausdruck in dem Sinnlich-Physischen findet, eignet er sich die Fähigkeiten dazu an, die Welt der Unsterblichkeit zuzuführen. Ja, seine Aufgabe ist, aus dem Sterblichen selbst die Früchte für das Unsterbliche herauszuholen. Das Leben des Vergangenen ist mit der Geburt abgeschlossen. Das Leben im Sinnlichen ist durch den neuen Lebenskeim dem allgemeinen Tode abgerungen. Die Zeit zwischen Geburt und Tod ist nur der Ausdruck dafür, wieviel das neue Leben der absterbenden Vergangenheit abringen konnte. Und die Krankheit ist nichts als die Fortwirkung der absterbenden Teile dieser Vergangenheit. 10.206ff

     Aus all dem heraus findet die Frage ihre Antwort, warum der Mensch erst allmählich sich aus Verirrung und Unvollkommenheit zu der Wahrheit und dem Guten durcharbeitet. Seine Handlungen, Gefühle und Gedanken stehen zunächst unter der Herrschaft des Vergehenden und Absterbenden. Aus diesem sind seine sinnlich-physischen Organe und alles, was sie zunächst antreibt, selbst dem Vergehen

 

Hüter der Schwelle großer                                                            Seite 73

 

geweiht. Erst das wird unvergänglich sein, was als das Werk dieser Organe erscheint. So stellt sich der erste Hüter der Schwelle das Ebenbild des Menschen in seiner Doppelnatur dar, aus  Vergänglichem und Unvergänglichem gemischt. Und ganz klar zeigt sich an ihm, was noch fehlt bis zur Erreichung der hehren Lichtgestalt, welche wieder die reine geistige Welt bewohnen kann. Nun erscheint in dem geschilderten Hüter nur das Ergebnis der verflossenen Zeit. Und von den Zukunfts-

keimen ist nur dasjenige darinnen, was in dieser verflossenen Zeit hineingewoben worden ist. Aber der Mensch muß in die zukünftige übersinnliche Welt alles mitbringen, was er aus der Sinnenwelt herausholen kann. Wollte er nur das mitbringen, was in sein Gegenbild bloß aus der Vergangenheit hinein verwoben ist, so hätte er seine irdische Aufgabe nur teilweise erfüllt. Deshalb gesellt sich zu dem <kleineren Hüter der Schwelle> nach einiger Zeit der größere.

    Nachdem der Mensch erkannt hat, wovon er sich  befreien muß, tritt ihm eine erhabene Lichtgestalt in den Weg. Deren Schönheit zu beschreiben ist schwierig in den Worten unserer Sprache. 10.209f

     Diese Begegnung findet statt, wenn sich die Organe des Denkens, Fühlens und Wollens auch für den physischen Leib so weit voneinander gelöst haben, daß die Regelung ihrer gegenseitigen Beziehungen nicht mehr durch sich selbst, sondern durch das höhere Bewußtsein geschieht, das sich nun ganz getrennt hat von den physischen Bedingungen. 10.210f    Ein unbeschreiblicher Glanz geht von dem zweiten Hüter der Schwelle aus; die Vereinigung mit ihm steht als ein fernes Ziel vor der schauenden Seele. Doch ebenso steht da die Gewissheit, daß diese Vereinigung erst möglich sein wird, wenn der Eingeweihte alle Kräfte, die ihm aus dieser Welt zugeflossen sind, auch aufgewendet hat im Dienste der Befreiung und Erlösung der Welt.

     Entschließt er sich, den Forderungen der höheren Lichtgestalt zu folgen, dann wird er beitragen können zur Befreiung des Menschengeschlechts. Er bringt seine Gaben dar auf dem Opferaltar der Menschheit. Zieht er seine eigene vorzeitige Erhöhung in die übersinnliche Welt vor, dann schreitet die Menschheitsströmung über ihn hinweg. Für sich selbst kann er nach seiner Befreiung aus der Sinnenwelt keine neuen Kräfte mehr gewinnen. Stellt er ihr seine Arbeit doch zur Verfügung, so geschieht es mit dem Verzicht, as der Stätte seines ferneren Wirkens selbst für sich noch etwas zu holen. Man kann nun nicht sagen, es sei selbstverständlich, daß der Mensch (diesen) weißen Pfad wählen werde, wenn er so vor die Entscheidung gestellt wird. Das hängt nämlich ganz davon ab, ob er bei dieser Entscheidung schon so geläutert ist, daß keinerlei Selbstsucht ihm die Lockungen der Seligkeit begehrenswert erscheinen läßt. Denn diese Lockungen sind die denkbar größten. Und auf der anderen Seite sind eigentlich gar keine besonderen Lockungen vorhanden. Hier spricht gar nichts zum Egoismus*. Was der Mensch in den höheren Regionen des Übersinnlichen erhalten wird, ist nichts, was zu ihm kommt, sondern lediglich etwas, das von ihm ausgeht: die Liebe zu seiner Mitwelt.

     Alles, was der Egoismus verlangt, wird nämlich durchaus nicht entbehrt auf dem schwarzen (eigensüchtigen) Pfade. Im Gegenteil: die Früchte dieses Pfades sind gerade die vollkommenste Befriedigung des Egoismus. Und will jemand nur für sich die Seligkeit, so wird er ganz gewiß diesen schwarzen Pfad wandeln, denn es ist der für ihn angemessene.

 

 

Hüter der Schwelle großer als Erlebnis                                 Seite 74

 

     Es darf daher niemand von den Okkultisten des weißen Pfades erwarten, daß sie ihm eine Anweisung zur Entwickelung des eigenen egoistischen Ich geben werden. Für die Seligkeit des einzelnen haben sie nicht das allergeringste Interesse. Die mag

jeder für sich erreichen. Sie zu beschleunigen ist nicht die Aufgabe der weißen Okkultisten. Diesen liegt lediglich an der Entwickelung und Befreiung aller Wesen, die Menschen und Genossen des Menschen sind. Daher geben sie nur Anweisung, wie man seine Kräfte zur Mitarbeit an diesem Werke ausbilden kann. Sie stellen daher die selbstlose Hingabe und Opferwilligkeit allen anderen Fähigkeiten voran. Sie weisen niemanden geradezu ab, denn auch der Egoistischste kann sich läutern. Aber wer nur für sich etwas sucht, wird, solange er das tut, bei den Okkultisten nichts finden. Selbst wenn diese ihm nicht ihre Hilfe entziehen; er, der Suchende, entzieht sich den Früchten der Hilfeleistung. 10.213f

     Dieser große Hüter der Schwelle wird nun sein Vorbild, dem er nachstreben will. Wenn diese Empfindung in dem Geistesschüler auftritt, dann hat er die Möglichkeit erlangt zu erkennen, wer da eigentlich als der große Hüter der Schwelle vor ihm steht. Es verwandelt sich nämlich nunmehr dieser Hüter der Schwelle in der Wahrnehmung des Geistesschülers in die Christus*-Gestalt. Wie das hohe Sonnenwesen, das Christus-Wesen, in die Erdentwickelung eingegriffen hat, und wie es nun weiter wirkt innerhalb dieser Erdentwickelung, das wird für den Geistesschüler eine selbsterlebte Erkenntnis. 13.394f

 

Hüter der Schwelle großer als Erlebnis. Der Mensch läuft immer Gefahr, wenn er sich in den Makrokosmos erhebt, sozusagen sein Ich ganz zu verlieren. Denn im gewöhnlichen Leben ist unser Ich* eigentlich nichts anderes als ein Zusammenfluß unserer Meinungen und Empfindungen, ein Zusammenfluß dessen, was als gewöhnliche Persönlichkeit vor unserer Seele steht. Und die meisten Menschen werden finden, daß es außerordentlich schwierig ist, überhaupt noch etwas zu denken und zu empfinden und zu wollen, wenn sie Abschied nehmen von dem, was das Leben aus ihnen gemacht hat. Deshalb ist es so außerordentlich wichtig, daß man, bevor man sich überhaupt einläßt auf ein erlebtes Hineinsteigen in die geistigen Welten, sich vorher bekannt macht mit dem, was eben schon erforscht ist, was die Geistesforschung schon zutage gebracht hat. Es wird daher immer und immer wieder betont, daß kein Erkennender auf diesem Gebiet die Hand bieten wird, jemandem die Möglichkeit zu bieten, selbst hineinzugehen in die geistige Welt, bevor er durch seine Vernunft, durch sein gewöhnliches Urteil begriffen hat, was die geistige Forschung behauptet. So kann man sich, bevor man in die geistige Welt hinein-schreitet, ein gewisses Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptungen der Geistesforscher aneignen. Die Urteile, die man sich auf diesem Wege aneignet, werden die Eigentümlichkeit haben, daß sie über das gewöhnliche Menschliche in einer gewissen Beziehung hinausgehen. Es ist also wichtig, sich sozusagen einen Fonds von Geisteswissenschaft anzueignen, um, wenn man in die geistige Welt hineintritt, nicht gleich beim ersten Eintritt seines Ichs verlustig zu gehen. Wir gehen dieses Ichs dann nicht verlustig, wenn dieses Ich tätig sein kann, wenn es etwas denken, fühlen kann. Erst dann sind wir außer uns, wenn wir nichts mehr denken, fühlen und empfinden können. Wir bewahren uns also durch eine gewisse Summe von geisteswissenschaftlichen Wahrheiten davor, unser Ich sogleich zu verlieren. 119.167f

     Der Mensch betritt im Grunde genommen jede Nacht beim Einschlafen den Makrokosmos. Unter dem vielen, was der Mensch zunächst erleben würde, wenn er

 

Hüter der Schwelle kleiner                                    Seite 75

 

bewußt im Moment des Einschlafens den Makrokosmos beträte, wäre nämlich er selber. Jetzt kann der Mensch vergleichen, wie unvollkommen er ist im Verhältnis

zu alledem, was da in der Welt enthalten ist, in die er hineinwachsen soll, wie viele Eigenschaften er hat, durch die er nicht gewachsen ist in dieser makrokosmischen Welt. Dasjenige, was den Menschen bewahren kann vor diesem Verlieren seines Selbstvertrauens, seiner Selbstsicherheit, ist eine dem Eintritt in die geistige Welt vorangehende Selbsterziehung zu einem reifen Urteile darüber, daß er zwar so, wie er jetzt ist, unvollkommen ist, daß aber immer die Möglichkeit vorhanden ist, sich Fähigkeit um Fähigkeit zu erwerben, um hineinzuwachsen in diese geistige Welt. 119.171f

     Hat man sich entschlossen dazu, durch Selbsterziehung alle Hindernisse seines unvollkommenen Menschen zu überwinden, dann wirkt dieser Impuls der Seele so, daß dieser unvollkommene Mensch vor einem steht, ohne daß er einen aufregt, ohne daß er einen niederschmettert. Ohne den genügenden Reifegrad würde man immer ein niederschmetterndes Gefühl haben, wenn man so seinen Doppelgänger erblickt. Davor schützt einen in der Tat das normale Leben; denn man würde jede Nacht beim Einschlafen seinen unvollkommenen Menschen vor sich haben und niederge-schmettert sein von ihm, wenn man bewußt einschlafen würde. Daher wird beim Einschlafen das Bewußtsein ausgelöscht. Wenn man aber immer mehr und mehr die Reife in sich erzeugt, die einem sagt: Du wirst die Hindernisse überwinden, welche machen, daß du heute noch ein schwacher Mensch bist – dann allmählich lüftet sich das, was wie ein Schleier vor die menschliche Seele sich hinstellt, wenn der Mensch im normalen Leben einschläft. Dann wird dieser Schleier immer dünner und dünner, und zuletzt steht so, daß man es ertragen kann, die Gestalt da, die ein Ebenbild von einem selber ist im gegenwärtigen Erleben, und daneben wird man gewahr die andere Gestalt, die man werden kann, wenn man weiter an sich arbeitet. Und man weiß in diesem Augenblick, daß diese andere Gestalt, die sich in Pracht und Herr- lichkeit und Glorie zeigt, gerade deshalb so niederschmetternd wirkt, weil man so nicht ist, und doch so sein sollte. Dieses Erlebnis haben heißt: vorüberschreiten an dem großen Hüter der Schwelle. 119.173f

    

Hüter der Schwelle kleiner. Dem kleinen Hüter der Schwelle begegnet der Mensch dann, wenn sich die Verbindungsfäden zwischen Willen, Denken und Fühlen innerhalb der feineren Leber – des Astral*- und Ätherleibes* zu lösen beginnen. Dem größeren Hüter der Schwelle tritt der Mensch gegenüber, wenn sich die Auflösung der Verbindungen auch auf die physischen  Teile des Leibes – namentlich zunächst das Gehirn – erstreckt. 10.193

     Es gibt im Menschen dasjenige, was man Schamgefühl nennt. Dieses besteht ja darin, daß der Mensch, wenn er sich in seiner Seele schämt irgendeiner Sache, die Aufmerksamkeit der anderen ablenken will von dem betreffenden Dinge oder der betreffenden Eigenschaft, der gegenüber er sich schämt. Dieses Schamgefühl ist eine schwache Andeutung von jenem Gefühl, das zu ungeheurer Stärke wachsen würde, wenn der Mensch beim Aufwachen bewußt in sein eigenes Innere hinein-steigen würde. Es würde dieses Gefühl sich mit einer solchen Gewalt der mensch-lichen Seele bemächtigen müssen, daß der Mensch es über alles, was da ihm entgegentreten könnte, ausgegossen empfinden würde. Wie eine Art Verbrennen würde dieses Schamgefühl auf ihn wirken. Dasjenige, was man im trivialen Leben beobachten kann, wenn der Mensch dadurch, daß er sich dem Genusse dieser oder

 

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jener Genußmittel hingibt, sein Herz und sein Gehirn zugrunde richtet, das sind sozusagen nur die trivialen Anfänge; wenn man ins feinere hineinsehen würde, so würde man das ganze Leben der Seele beobachten müssen als eine Zerstörungs-

tätigkeit für den Wunderbau des menschlichen Ätherleibes und des ‚physischen Leibes*’. Das alles aber würde vor der menschlichen Seele lebendig stehen, wenn sie bewußt hinabsteigen würde in ihren Äther- und in ihren physischen Leib. Und es würde etwas ungeheuer Niederschmetterndes, etwas Auflösendes für den Menschen haben, wenn er nun bewußt vergleichen könnte, was er in seiner Seele ist und was die weise Weltenführung aus demjenigen gemacht hat in das er jeden Morgen beim Aufwachen hinuntertaucht. Dem (Ertragen) dieses Vergleiches wird vorgearbeitet durch alle jene Seelenerlebnisse, die der Mystiker durchmacht, bevor er fähig wird, hinunterzusteigen in sein Inneres. 119.80ff     Wenn das so recht in der Seele sich verbreitet, was man die Erziehung zur Demut nennen kann, dann wird die Seele durchflossen und durchdrungen von diesem Demutsgefühl, das zuletzt wirklich empfindungsgemäß dazu führt, sich so zu denken, daß man einen unendlichen Weg vor sich hat, um vollkommener zu werden. Dann muß der Mensch jenes Gefühl entwickeln, welches ihn befähigt, dasjenige, was sich ihm in den Weg stellen kann, wenn er vollkommener und immer vollkommener werden will, zu ertragen. Ergebenheitsgefühl muß er entwickeln. 119.83

     Die Macht, welche da den Menschen jeden Morgen beim Aufwachen behütet, hineinzusteigen in das eigentliche Innere kann der Mensch nicht sehen. Es ist die erst geistige Wesenheit, welcher begegnet der echte, wirkliche Geistesforscher. An diesem kleinen Hüter der Schwelle vorbei führt der  Weg in die geistige Welt hinein. 119.85

     Da stehen wir denn vor der rechten Selbsterkenntnis, und wie vor einem leuchtenden Bild erscheint als Finsternis, wie eine finstere Silhouette, dasjenige, was wir geworden sind durch unsere Unterlassungssünden, durch das, was wir auszu-bessern haben an uns, damit wir unsere Seelenkräfte in der richtigen Weise entwickeln. Dasjenige, was wir nicht geworden sind, das stellt sich uns vor die Seele. Was an Unterlassungssünden an unserem Willen haftet, sagt uns: Mit alledem, was du da unterlassen hast, wirst du gefesselt sein an die untergehenden Kräfte der Erde; das wird dich fesseln wie mit ehernen Banden an alles das, was die Erde in ihre Zerstörung hineintreibt. – Dasjenige, was wir an  Unterlassungssünden haben in bezug auf unser Denken, das sagt uns: Weil du diese Unterlassungssünden hast in bezug auf dein Denken, wirst du nicht die Möglichkeit finden, eine Harmonie herzustellen zwischen deinem Willen und deinem Fühlen. – Und dasjenige, was wir an Unterlassungssünden in bezug auf unser Fühlen haben, das stellt sich so hinein in unser ganzes innere Leben, daß es uns sagt: Es wird das Weltenwerden über dich hinwegschreiten; du hast nichts getan, um vor dir selber aus dem Weltenwerden etwas hineinzufügen. Daher wird dasjenige, was dir das Weltenwerden gegeben hat, von diesem Weltenwerden genommen, weil du nichts dazu getan hast, und dieses Weltenwerden wird so über dich hinwegschreiten, wie wenn du überhaupt nicht da gewesen wärest. 119.113f    Wir fühlen damit alles, was wir selber in unsere Seele gelegt haben an diesen seelenzerstörenden Kräften, unsere Unterlassungssünden, in diesem mystischen Momente des Vorbeischreitens an dem kleinen Hüter der Schwelle. Wenn man das alles fühlt, dann hat man es im astralischen Leib erlebt. Aber wenn man es immer wieder und wiederum fühlt, dann verwandelt es sich endlich in eine ganz bestimmte Anschauung, die jetzt eine innere Anschauung, ein

 

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inneres Erlebnis ist, das dadurch entsteht, daß wir so viel Kraft gesammelt haben durch unser mystisches Denken, Fühlen und Wollen, daß unser astralisches Erleben

sich spiegelt an unserm Ätherleib und uns zurückgeworfen wird. Da haben wir jetzt wie eine äußere Wirklichkeit unser eigenes Gegenbild vor uns. Ganz ähnlich wie wir sonst die Außenwelt sehen, sehen wir jetzt unser eigenes Innere. Vorher ist unser Blick im normalen Bewußtsein, als wir (beim Aufwachen) untertauchten in die äußeren Hüllen, abgelenkt worden auf die Außenwelt. Die äußeren Eindrücke der Sinnenwelt flossen auf uns ein, damit wir nicht sehen konnten, was wir aber jetzt sehen sollen und müssen, wenn wir uns entschließen wollen, an der Entwickelung der Menschheit teilzunehmen.

     Alles dasjenige, was uns an die Erde fesselt, was uns mit dem Vergänglichen verbindet, so daß wir es selber als Vergängliches zurücklassen müssen, das zeigt sich uns da in dem Bilde eines verzerrten Stieres*. Alles dasjenige, was sonst Einklang schafft zwischen unserem Willen und unserem Fühlen in unserer Seele, zeigt sich uns in bezug auf seine Unerlassungssünden in dem Bilde eines verzerrten Löwen*. Und alles dasjenige, was über uns hinwegschreitet, wenn wir Unterlassungssünden in unserem Denken haben, alles das, was über uns hinweg- schreitet, weil wir ihm nichts gegeben haben, was uns selber mitnehmen kann, das zeigt sich uns in dem Bilde eines verzerrten Adlers*. Diese drei Bilder sind durchsetzt mit unserem eigenen verzerrten Ebenbild. Aus der Art, wie diese drei Bilder miteinander in einem Verhältnis stehen, ergibt sich das Maß dessen, was wir noch an uns zu arbeiten haben. 119.115ff    Bisher haben eben immer die Weltenkräfte ausgereicht, um sozusagen die äußerste Verzerrung unseres Menschenbildes hintanzuhalten. In der Zukunft würden sie da nicht ausreichen. Alle die verzerrten Menschenbilder sind der wahre Hüter der Schwelle. Wir selbst in unserem Gegenbild, wir erscheinen uns als der kleine Hüter der Schwelle. Wir selbst sind es, welche verhindern, daß wir vorher selbst in uns hineinsteigen können. 119.117

     Sobald der Mensch die mystische Versenkung sucht, muß er sich klar sein darüber, daß er in jedem Falle zu einem Menschen würde, der sich Halluzinationen* hingibt, wenn er beim mystischen  Hineinschauen in sein Inneres Gestalten außerhalb sieht und diese für etwas anderes ansehen würde, als was ihm sein Inneres spiegelt. Zu wirklichen Wesenheiten kommen wir beim Überschreiten dieser Spiegelbilder. 119.119

     So schrecklich die Gestalt dieses Hüters auch ist, sie ist doch nur die Wirkung des eigenen vergangenen Lebens des (Geistes-) Schülers, ist nur sein eigener Charakter, zu  selbstständigem Leben außer ihm erweckt. Es muß nun die Vorbereitung des Geheimschülers dahin zielen, daß er ohne eine jegliche Scheu den schrecklichen Anblick aushält und daß er im Augenblicke der Begegnung seine Kraft wirklich so gewachsen fühlt, daß er es auf sich nehmen kann, die Verschönerung des Hüters mit vollem Wissen auf sich zu laden.

     Eine Folge der glücklich überstandenen Begegnung mit dem Hüter ist, daß der nächste physische Tod dann für den Geheimschüler ein ganz anderes Ereignis ist, als vorher die Tode waren. Für ihn ändert sich (durch den Tod) nichts von Bedeutung in seiner ganzen Umgebung. Die ganze übersinnliche Welt, in die er eingetreten ist, stand vor dem Tode schon in entsprechender Art vor ihm, und dieselbe Welt wird auch nach dem Tode vor ihm stehen. 10.198f

 

 

Hüter der Schwelle der Chaldäer                                Seite 78

 

     Jeder Mensch erhält im wahrsten Sinne des Wortes seine Arbeit von der Familien-, Volks- oder Rassenseele zugeteilt. Nun wird der Sinnesmensch jedoch keineswegs in den höheren Plan seiner Arbeit eingeweiht. Er arbeitet unbewußt an

den Zielen der Volks-, Rassenseelen und so weiter mit. Von dem Zeitpunkte an, wo der Geheimschüler dem Hüter der Schwelle begegnet, hat er nicht bloß seine eigenen Aufgaben als Persönlichkeit zu kennen, sondern er muß wissentlich mitarbeiten an denen seines Volkes, seiner Rasse. Jede Erweiterung seines Gesichtskreises legt ihm unbedingt auch weitere Pflichten auf. Eine weitere Enthüllung, die ihm nun der Hüter der Schwelle macht, ist die, daß fernerhin diese Geister ihre Hand von ihm abziehen werden. Er muß aus der Gemeinsamkeit heraustreten. Und er würde sich als Einzelner vollständig in sich verhärten, er würde dem Verderben entgegengehen, wenn er nun nicht selbst die Kräfte erwürbe, welche den Volks- und Rassengeistern eigen sind. 10.200f

     Unvorbereitet könnte den hier angedeuteten Anblick allerdings niemand ertragen; aber die höhere Schulung*, welche dem Menschen überhaupt möglich macht, bis zur Schwelle vorzudringen, setzt ihn zugleich in die Lage, im entsprechenden Augen-blicke die notwendige Kraft zu finden. Ja, diese Schulung kann eine so harmonische sein, daß dem Eintritt in das neue Leben jeder erregende oder tumultuarische Charakter genommen wird. Dann wird für den Geheimschüler das Erlebnis  an der Schwelle von einem Vorgefühl jener Seligkeit begleitet sein, welche den Grundton seines neu erwachten Lebens bilden wird. Die Empfindung der neuen Freiheit wir alle anderen Gefühle überwiegen; und mit dieser Empfindung werden ihm die neuen Pflichten und die neue Verantwortung wie etwas erscheinen, das der Mensch auf einer Stufe des Lebens übernehmen muß. 10.203.    Siehe auch Kentaur; Sphinx.

 

Hüter der Schwelle der Chaldäer.  Ischtar stand an der Schwelle, die sonst dem Menschen verschließt, was hinter dem Seelenleben an Geistigkeit steht. Und auf der anderen Seite, wo man das Tor findet in die geistige Welt durch den Teppich der äußeren Sinneswelt, da stand der andere Hüter: Merodach oder Marduk. Merodach können wir mit dem Hüter der Schwelle, mit dem Michael vergleichen; Merodach und Ischtar waren es, welche das Innere der Seele (bei der Einweihung) hellsehend machten und den Menschen nach beiden Seiten hin in die geistige Welt einführten. Daher erlebte der Mensch durch diese Begegnung das, was man symbolisch auch heute noch so empfindet: Es wird dem Menschen der leuchtende Kelch gereicht, das heißt der Mensch lernt den allerersten Gebrauch seiner Lotusblumen (siehe: Astralleib – Organe) noch tastend kennen. 113.171

 

Hüter der Schwelle für Menschen des Ostens und des Westens. Entweder als Alp (Alpdruck) oder als Gespenst muß dasjenige, was instinktiv im Menschen lebt, zum Vorschein kommen (an der Schwelle), wenn der Mensch es ins Bewußtsein heraufbringen will. 186.17    Jene Instinkte, welche im Westen leben als Bild des Menschen und nach sozialer Struktur hinstreben, erweisen sich vor dem Hüter der Schwelle als Gespenster. Dasjenige Bild des Menschen, das bei den Menschen des europäischen Ostens mit ihrem asiatischen Hinterland lebt, das erweist sich als Alpdruck. 186.18     Diese zwei Dinge bewirken, daß dasjenige, was bewußt im römischen Reiche war, auf der einen Seite unbewußt nachlebt in gespensterhafter Weise im Westen, und daß dasjenige, was sich vorbereitet, was in der Gegenwart gerade wirksam ist, die britisch-amerikanischen Weltreichimpulse, daß diese als

 

Hüter der Schwelle                                Seite 79

 

Widerlage des Alpdruckes da sind, um die Menschen des Ostens zur bewussten Geburt eines entsprechenden Menschenbildes zu bringen. 186.21

 

     Auch die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle hat Differenzierungen. Natürlich, wenn die Einweihung* völlig unabhängig erfolgt  von jedem Volkstum, da ist die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle auch allseitig. Wird aber von einseitigen Menschen oder  Gesellschaften eine Einweihung besorgt, und geschieht sie volkstümlich, so differenziert sich auch das Erlebnis mit dem Hüter. Es ist der Mensch, welcher der englisch sprechenden Bevölkerung angehört, wenn er nicht  von höheren Geistern, die ja führend sind, sondern vom Volksgeist initiiert wird, vorzugsweise dafür veranlagt, zur Schwelle diejenigen geistigen Wesenheiten mit hinzubringen, die uns als ahrimanische Geister fortwährend in der Welt hier umgeben, die uns begleiten, wenn wir zur Schwelle nach der übersinnlichen Welt hingehen, und die wir dann mitnehmen können, wenn sie gewissermaßen eine Neigung für uns entwickeln. Sie führen uns vor allen Dingen zum Anblick der Mächte von Krankheit* und Tod*. Gehen Sie in die Mittelländer, und wirkt da der Volksgeist mit bei der Initiation, hebt man den zu Initiierenden nicht heraus aus dem Volksraum zum Allmenschlichen, sondern wirkt der Volksgeist mit, so ist das erste, das bedeutendste Ereignis, daß man aufmerksam wird auf jene Kämpfe, welche stattfinden zwischen gewissen Wesenheiten, die nur der geistigen Welt angehören, die jenseits des Stromes stehen, und gewissen Wesenheiten, die hier in der physischen Welt stehen, diesseits des Stromes, aber unsichtbar für das gewöhnliche  Bewußtsein. Dieser Kampf, auf den man da aufmerksam wird, pulsiert an der Schwelle dadurch herauf, daß man in den Mittelländern, wenn man ein ernster Wahrheitssucher ist, namentlich durchtränkt ist von den Mächten des Zweifels. Man muß da aufmerksam darauf werden, wie dieser Kampf, der an der Schwelle stattfindet zwischen den Geistern, die nur dem Geistesleben, und denen, die nur der sinnlichen Welt angehören, alles das bedingt, was im Innern des Menschen den Zweifel hervorruft, das Schwanken in bezug auf die Wahrheit, die Notwendigkeit, sich zu der Wahrheit erst erziehen zu lassen, nichts auf die anerkannten Impulse der Wahrheit zu geben. Wenn in den Ostländern der Mensch an die Schwelle geführt wird unter Patenschaft des Volksgeistes, dann sieht er vor allen Dingen die Geister, welche auf die menschliche Selbstsucht wirken. 186.181ff