Info3 News
Christus-Streit im „Goetheanum“
Mit einer handfesten Kontroverse um das neue Buch von Vorstandsmitglied Sergej Prokofieff wartet die aktuelle Ausgabe der anthroposophischen Wochenschrift „Das Goetheanum“ auf (online nicht verfügbar).
In dem Buch des aus Russland stammenden Vorstandsmitglieds der Anthroposophischen Gesellschaft, das gleich zwei Rezensionen erfährt, wird unter anderem der Stellenwert von Stigmatisierungen für das Verständnis des Christentums diskutiert – ein Problem, das konkret seit dem Fall der Berliner Anthroposophin Judith von Halle in der Anthroposophische Gesellschaft für Turbulenzen sorgt und zu Lagerbildungen führt. Deswegen dürfte es kaum zufällig sein, dass Prokofieff in seinem Buch mit dem Thema „Das Mysterium der Auferstehung im Lichte der Anthroposophie“ neben anderem „auf die Gefahren“ aufmerksam machen will, die im Zusammenhang mit Stigmatisierungsphänomenen „aus einem Verkennen von Rudolf Steiners Werk erwachsen“ – so jedenfalls umschreibt Heinz Zimmermann in seiner insgesamt wohlwollenden Kritik des Buches die unverhohlene Gegner-Warnung Prokofieffs. Offenbar in Übereinstimmung mit Prokofieff zeigt sich der Rezensent überzeugt, dass „die dinghaften sinnlichen Schilderungen des Christuslebens an der Zeitenwende einem leibgebundenen Bewusstsein entstammen und dem anthroposophischen Weg … völlig widersprechen.“
Im Gegensatz zu Zimmermann, der selbst langjähriges Vorstandsmitglied in Dornach war, spricht Rezensent Dietrich Rapp in seinem kontrapunktischen Beitrag offen von einem „unehrlichen Buch“, dessen Autor sich von historischen stigmatisierten Persönlichkeiten wie Katharina Emmerich abgrenze, in Wirklichkeit aber Judith von Halle meine. „Die vorgeschobene Kritik zieht in keiner Weise“, so Rapp, bis vor kurzem noch als Chefredakteur der Goetheanum-Wochenschrift tätig. Er kritisiert außerdem Prokofieff wegen seines „exclusiven Anspruchs des ‚wahren’ Christus-Verständnisses“ und sieht in ihm den Vertreter eines „östlichen Christentums“ mit „gnostisch-platonisierender Tendenz“ urteilen.
Offene Kritik an einem Vorstandsmitglied ist in der Goetheanum-Wochenschrift, die offiziell vom Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft herausgegeben wird, selten. Auch in Dornach wird indessen der Fall der seit 2004 als stigmatisiert und hellsichtig geltenden Judith von Halle kontrovers diskutiert. Vorträge von ihr im großen Goetheanum-Saal waren Berichten zufolge stark besucht. Trotz interner Differenzen findet von Halle jedoch innerhalb des Vorstands insgesamt keine Unterstützung. Dem Vernehmen nach wird für sie von einem Anhängerkreis derzeit eine eigene Wirkensstätte in der Nähe des Goetheanums geschaffen.
Für Außenstehende wirkt der Streit um Von Halle wie die Selbstzerfleischung einer religiösen Splittergruppe: während die einen auf der korrekten Auslegung von hoch esoterischen Begriffen wie „Phantomleib“ beharren und die alleinige Deutungshoheit Steiners verteidigen, bejubeln die anderen eine Stigmatisierung als Beginn einer neuen geistigen Offenbarung. Beide Seiten behaupten selbstverständlich, ihr Streit um das „wahre Christentum“ habe keineswegs mit Religion zu tun, sondern sei reine „Geisteswissenschaft“. Wo hier der Beitrag zu einer zeitgemäßen Spiritualität liegen mag, kann man wohl jeweils nur den eigenen Anhängern erklären.
Samstag, 14. Februar 2009 um 18:30 Uhr.
Guter Artikel! Ich hatte mich allerdings in den letzten Jahren immer mal wieder ein wenig gewundert, warum Info 3 sich so angestrengt bemüht, das Thema “Judith von Halle” bloß nicht irgendwie zu erwähnen…
Samstag, 14. Februar 2009 um 20:43 Uhr.
@ Zorro
sorgst du für die Wundmale?