Die Waldorfschulen haben sich wiederholt und nachdrücklich von jeder
Form des Rassismus distanziert und durch ihre Praxis unter Beweis
gestellt, dass ein solcher Vorwurf jeder Grundlage entbehrt.
Rassistische Einstellungen sind an Waldorfschulen unter allen
Schularten am wenigsten verbreitet, wie wissenschaftliche
Untersuchungen jüngst gezeigt haben. Gegenteilige Anschuldigungen sind
Folge von Empfindungen, die angesichts eines heute befremdenden
Wortgebrauchs beim Leser hervorgerufen werden können, ohne dass der
sachliche und historische Gesamtzusammenhang der Aussagen Steiners
überschaut wird. Zudem wird außer Acht gelassen, dass die betreffenden
Zitate für Theorie und Praxis der Waldorfschulen völlig irrelevant sind
und immer gewesen sind. Steiner selbst hat in einer Zeit, in der die
Anwendung von Rassenbegriffen weltweit verbreitet war, stets seine
unverrückbare Grundüberzeugung zum Ausdruck gebracht, dass das Wesen
des Menschen nicht in seiner Rassenzugehörigkeit bestehe. Der Mensch
ist vielmehr ein geistiges Wesen und „Rassenideale“ bedeuten nach
seiner Auffassung „den Niedergang der Menschheit“.
Genau diese Überzeugung erkannten auch die Nationalsozialisten als Kern
der Anthroposophie. Deshalb wurde schon 1922 aus ihrem Umkreis ein
Attentat auf Steiner verübt. „Der Platz, den in unserem Weltbilde der
von rassischen Kräften bestimmte geschichtlich gestaltende Mensch
einnimmt, ist in der Weltanschauung Rudolf Steiners besetzt durch den
über aller Geschichte thronenden Geistesmenschen“, schrieb der
NS-Obergutachter Alfred Bäumler zur Begründung des Verbotes der
Anthroposophie, das später auch zum Verbot der Waldorfschulen führte.
Steiner lehnte alle Theoreme des zeitgenössischen Rassismus ab. Von
Rassen könne man heute ohnehin nicht mehr sprechen, es sei denn, „in
einem solchen Sinn, dass der eigentliche Rassenbegriff seine Bedeutung
verliert“. Da Rassenbegriffe für Steiner mithin keine Bedeutung mehr
hatten, kann auch eine Einschätzung wie die, einzelne seiner Werke
enthielten „aus heutiger Sicht rassistische Passagen“, nicht richtig
sein. Eine völlig andere Frage ist die des von Steiner benutzten
Vokabulars, das in seiner Zeitgebundenheit so nicht mehr verwendbar ist
und der Erklärung bedarf, weil es bei der heute hohen Sensibilität in
diesen Fragen zu Missverständnissen Anlass gibt.
Wer sich allerdings an Worten und Zitaten festhält, deren Einschätzung
sich in den letzten Jahrzehnten, insbesondere unter dem Eindruck des
Holocaust und des Nationalsozialismus, verändert hat oder den
historischen bzw. den sich aus dem Gesamtwerk Steiners ergebenden
Kontext unberücksichtigt lässt, muss zu unzutreffenden Bewertungen
kommen. So handelt es sich beispielsweise bei dem Ausspruch Steiners
„Auch Neger sind Menschen“ um eine Distanzierung von der gegenteiligen
rassistischen Auffassung, die im damaligen Europa die gängige
öffentliche Meinung war. Steiner sah in den herrschenden Vorstellungen
über Farbige unbewusste Projektionen und wies die Europäer darauf hin,
dass ihre Aufgabe nicht darin bestehe, so genannte Wilde, sondern sich
selbst zu zivilisieren. So wies er den damals vom Fortschritts- und
Expansionswahn verblendeten Weißen die Aufgabe zu, „am Geist zu
schaffen“, statt die übrige Menschheit auszubeuten, das heißt, die
eigene Kulturaufgabe nicht in Übersee, sondern im Herzen der eigenen
Zivilisation zu suchen.
Die Begründung einer Weltkultur aus dem Geist der Freiheit und der
Solidarität war das zentrale Anliegen Steiners und ist auch bis heute
das zentrale Anliegen der inzwischen in allen Völkern und Kulturen der
Welt verbreiteten Waldorfschulen, das sich an verschiedenen Orten der
Welt, z.B. in Südafrika, im Kampf gegen Rassismus bewährt hat. Aus
diesem Geist wird heute weltweit im Sinne des Solidaritätsgedankens und
der zukunftsoffenen Ideen, die ursprünglich von Rudolf Steiner angeregt
worden sind, gearbeitet: in Favelas, in Hometowns, in
Indianerreservaten oder asiatischen Slums.
Hans-Jürgen Bader Lorenzo Ravagli
Stuttgart, September 2007